1    2    3    4    5


Heaven above the clouds

Print auf Papier, Seile, Nägel, Holz, 2007

Installationsansicht Fuhrwerkswaage Köln, 2007


"Thing is most women don´t want to show their face – just their boobs and pussy – they find that less personal... figure that LOL" 

Zitat aus einem Chat im Online-Spiel Second Life

      


Körper ohne Gesicht. Oder: Wer lacht zuletzt?

von Johan Hartle

Text-Download


Die Cyberfeministin Sadie Plant hat in ihrem Buch über „Nullen und Einsen“ das World Wide Web als eine Struktur beschrieben, die mit klassisch weiblicher Arbeit korrespondiert. Die Metapher des Webens selbst, aber auch die affektiven und kommunikativen Aspekte sozialer Reproduktion bestimmen die webbasierte Kommunikation und erlauben Plant den Schluss, dass das Web letztlich ein weibliches Medium sei und macht es zum Hoffnungsträger feministischer Politik.


In der zeitgenössischen Kunst ist die Aneignung von Handarbeiten zu einem Verfahren feministischer Kunst gewordene. Gewebte, genähte, gestrickte und gehäkelte Arbeiten verbanden sich mit dem Bemühen, klassisch weibliche Erfahrungen in die Kunst zu überführen.


Vordergründig betrachtet ist diese Verknüpfung der entscheidende diskursive Knotenpunkt, an dem die Arbeiten von Theresa Frölich entstehen. Immerhin geht es in ihren Arbeiten, die immer auch textile Verfahrensweisen einbeziehen, tatsächlich auch um geschlechtliche Codierungen virtueller Welten. 


Frölich rekonstruiert exemplarisch einen Diskurs, in dem der weibliche Körper als der Inbegriff des Realen fungiert, während er sich zugleich hinter Computergehäusen entzieht. In diesem Zug nutzt sie die Sprache als Medium visueller Kunst und das virtuelle Bild- und Spracharchiv als Fundus für diverse objets trouvés. Ihr Verfahren ist somit ebenso von den Leitlinien klassischer Konzeptkunst bestimmt wie von den Verfahrensweisen und Frageperspektiven feministischer Textil- oder Medienkunst.


In der Fuhrwerkswaage ist eine Arbeit zu sehen, in der ein gewebter Schriftzug über eine Bildtapete aufgespannt ist. Der Schriftzug entsteht als eine Spannungslinie und als ein Netzwerk vor einer Wandtapete, die ein virtuelles Paradies zeigt: Palmen, Strand und Meer. Vor das in Graustufen aufgebaute Schema jener Cyberkaribik gestellt, suggeriert der Schriftzug zugleich ein poppiges Glücksversprechen. Er durchbricht die zweite Dimension und durchkreuzt damit auch das emblematische NO ENTRY, das eine Art Bordüre auf der Wandtapete bildet.


Die Schrift erscheint als ein Blitz, der das Schwarzweiß der zweidimensionalen Tapete durchzieht und andeutungsweise auch belebt. In nahe liegender Weise lässt sich diese Struktur im Vokabular des Strukturalismus rekonstruieren. „Der Mund“ schreibt Blixa Bargeld einmal, „ist die Wunde des Alphabets“. Und die Performanz des Schreibens sowie die Inszenierung vor der Webcam, so ließe sich ergänzen, ist die Lücke der webbasierten Kommunikation, in der die Matrix aus Ziffern und Oberflächen ein Innen bekommt. Plötzlich werden die Oberflächen fragil und der Monitor zum Gegenstand erotischer und/oder aggressiver Projektionen.


Dieser Einbruch des Anderen ist – wie all jene Schichten, die sich jenseits des Symbolischen, jenseits der Datencodes und der digitalen Bilder befinden – ambivalent. Frölichs Schriftzug ist ebenso sehr ein Gekritzel, das die paradiesische Cyberlandschaft durchstreicht, wie eine Spannungslinie, die ihr etwas Leben einhaucht. Nicht umsonst durchkreuzt sie die graustufige Zweidimensionalität und vernetzt sie farbenfroh. 


Der Inhalt des Schriftzuges ist, wenngleich nicht von literarischer Schönheit, zumindest von überbordender Information: „Thing is... most women don´t want to show their face – just their boobs and pussy – they find that less personal... figure that LOL [Laughing out loud].“ 


Jenes Zitat eines Chats aus Second Life dokumentiert, distanziert und abgeklärt, einerseits eine elektronische Sehnsucht, die sich an das schlechthin außerelektronische, an die Präsenz weiblicher Geschlechtsmerkmale heftet („boobs and pussy“). Diese obsessive Sehnsucht bleibt zugleich eine tragische. Das Reale entzieht sich. Es zeigt, bildlich gesprochen, kein Gesicht. 


Umgekehrt wird das Gesicht zur letzten Zuflucht von Intimität, während Bilder des pornographisch verkürzten Körpers im Spiel um virtuelle Abenteuer noch als Einsatz fungieren können: Frauen zeigen kein Gesicht und veräußern ihren virtuell unverletzlichen Körper. 


Der Schriftzug ist auch eine Dokumentation, eine reflexive Brechung, als männliches Gelächter über die Refugien weiblicher Intimität („they find that less personal“) oder vielleicht auch als eine Ironisierung des eigenen Kommunikationszusammenhangs („...figure that...LOL...“). Seine Sprache – Frölich stellt sie aus und versetzt sie damit auch in Distanz – ist eine ganz spezifische, kontextgebundene Sprache: ein verkürztes Teenager-Englisch, in dem Standardwendungen dominieren (kinda, sort of, figure that, thing is, etc. – Kraftausdrücke inklusive); die technisch reduzierte Sprache der Chatrooms.


Die Figuren von Authentizität und Verletzlichkeit, an deren Unmöglichkeit Frölich entlang arbeitet, eröffnen eine Reihe von feministischen Fragen. Lässt die webbasierte Codierung des weiblichen Körpers feministischen Optimismus zu? Oder verlängert das technische Gelächter über die Refugien der Intimität letztlich einen Sexismus, der dem Medium selbst innewohnt?


Frölich stellt dem Szenario eines zweidimensionalen Paradieses, zu dem der Eintritt verwehrt bleibt, während es von einer Spannungslinie durchzogen wird, das Porträt einer Frau gegenüber. In ihm wiederholt sich das Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit, von Plastizität und Linearität. Denn das stereotype Schema einer schönen Frau mit wehendem Haar löst sich auf den zweiten Blick wieder und wieder auf. Sie ist ein Kippbild aus Imaginärem (einer verheißungsvollen Projektion) und der kruden Materialität aus Druckerfarbe und Papier. 


Das Porträt kommentiert somit den Schriftzug ebenso wie jener dieses. Was bleibt von den Zeichen der Aufrichtigkeit, vom wahren Antlitz und den Zeichen der Authentizität im virtuellen Rollenspiel? Sind sie letztlich selbst arbiträr und Hinweise nur auf etwas, das unsichtbar bleibt? Oder ist jenes Gesicht ein Statement, das sich dem sexistischen Gelächter entgegen steht?


Die Fragen können offen bleiben. Denn Frölichs ästhetisches Interesse an der virtuellen Welt und ihren Formen ist letztlich nicht nur eine Untersuchung geschlechtlicher Codes in virtuellen Räumen, sondern zugleich eine vielschichtig kunstreflexive Erkundung im Reich der Kunst selbst. 


Der Name „second life“ enthält alle Andeutungen, die dieses Interesse definieren. Denn beide Welten, the Artworld wie das buchstäbliche Second Life eröffnen eine Parallelwelt, in der Dinge möglich sind, die es in der wirklichen Welt körperlicher Präsenz nicht sind. Und beide haben es mit Oberflächen zu tun, deren Wettlauf mit dem Realen letztlich ohnmächtig bleibt. Über ihre Konsequenzen im Reich des Realen wird deswegen weiterhin zu verhandeln sein.