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Who´s gonna save my Soul?


vergrößerter Screenshot (12,5 x 6,5 m), Prints auf Leinwand (Portraits: 150 x 150 cm; hängendes Bild: 200 x 230 cm), Stellwand aus Holz mit Papierprints (200 x 240 cm), Gehirn aus Holz (ca. 50 x 60 x 5 cm), Seile, Nägel, Spots, Neonröhren



Who´s gonna save my Soul?
Textausschnitt aus dem Katalogtext von Anja Bauer
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Auch Theresa Frölich beschäftigte sich in vielen ihrer Arbeiten mit der Frage der Identitätskonstruktion im World Wide Web: Die Möglichkeiten von Second Life hat die in Köln lebende Künstlerin bereits im Selbstversuch erprobt und ihren eigenen Avatar erschaffen. In der für das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr realisierten Installation setzt sie sich mit der forcierten Konstruierbarkeit von Identität auseinander anhand eines reellen amerikanischen Forschungsprojektes der Vergangenheit. Dass die angewandten Methoden und deren Auswirkungen tiefgreifend waren, verrät der wie ein Hilferuf klingende Titel Who´s gonna save my Soul?.
Der Sitz der Seele ist ein bis heute ungelöstes Rätsel. Während man früher davon ausging, sie befinde sich im Herzen, weiß man heute, dass das, was uns als Individuum ausmacht, Ergebnis biochemischer Prozesse im Gehirn ist.

In der Mitte des abgedunkelten Ausstellungsraumes befindet sich ein am Boden liegendes, hell beleuchtetes Gehirn aus weißlackiertem Holz. Es ist mit Nägeln und Ösen gespickt, an denen neonrote Woll- und Nylonfäden die Kortexstruktur wiedergeben. Einige Fäden kringeln und winden sich als zellenartige Ausläufer am Boden, andere verlängern sich kreuz und quer in den Raum.
Die Verknüpfungen erinnern an Marcel Duchamps Raumintervention Sixteen Miles of String bei der Surrealisten-Ausstellung 1942 in New York: Im gesamten Ausstellungsbereich hatte er Schnüre wie Spinnweben vom Boden bis zur Decke und zwischen den Stellwänden mit den eigentlichen Exponaten gespannt, so dass es für die Besucher fast unmöglich war, die Kunstwerke zu betrachten. Durch diesen gezielten, provokativen Eingriff lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Rolle des Publikums in einer Ausstellung und auf die selbstverständliche Zugänglichkeit von Kunstobjekten, die hier nicht gewährleistet war.

Die Mülheimer Präsentation hat jedoch einen ganz anderen Hintergrund:
Der Begriff „roter Faden“ scheint von Theresa Frölich wörtlich aufgefasst zu sein, denn Schnüre und Seile unterschiedlicher Stärke verbinden das Gehirn mit weiteren Elementen der Installation und lenken als Leitlinien den Blick des Betrachters. Auch architektonische Gegebenheiten des Ausstellungsraumes wie die Metallverstrebungen der Decke werden in das so entstandene örtliche „Netzwerk“ einbezogen.

Ein an die Wand tapezierter, überdimensional vergrößerter Computerausdruck, ein Screenshot aus Second Life, bildet einen weiteren Ausgangspunkt: Die dargestellte Spielsituation ist in Gitteransicht wiedergegeben und ermöglicht den Blick hinter die Kulissen der 3D-Animation: ein rasterhaftes Koordinatensystem mit fluchtenden Linienstrukturen, Verdichtungen und geometrischen Körpern entschlüsselt den Aufbau der digitalen Parallelwelt, die auch als Grid (Gitter) bezeichnet wird. In diese Computermatrix ist ein polygonaler Avatar hineinprogrammiert, der eine Frau mit einem Maschinengewehr darstellt. Die grafischen Linien der Wandtapete werden durch die neonroten Seile wie Laser-Strahlen materialisiert in den Raum fortgeführt, welche Schatten an die Wand werfen; die zweidimensionale Computerzeichnung wandelt sich somit zur Raumzeichnung – der Betrachter, von Fäden umsponnen, befindet sich nun wie die virtuelle Amazone ebenfalls im System.

Auf dem riesigen Print hängen direkt über dem Türeingang drei auf Leinwand aufgezogene Männer-Porträts. Von links nach rechts präsentieren sich hier die beiden Wissenschaftler Dr. Ewan Cameron und Dr. Sidney Gottlieb sowie der KZ-Arzt und NS-Verbrecher Josef Mengele; ihre Namen und Funktionen sind in Fadenschrift wiedergegeben. Eine weitere, von der Decke hängende Leinwand schräg gegenüber zeigt in Profilansicht eine weibliche Person mit einer technischen Apparatur auf dem Kopf. Der auf die Leinwand gestickte Satz „I WAS A VEGETABLE // I HAD NO IDENTITY // I HAD NO MEMORY // I NEVER EXISTED IN THE WORLD BEFORE” lässt in Verbindung mit den Verkabelungen unweigerlich an „Gehirn-Wäsche“ denken. Wie hängt dies alles zusammen?

In Theresa Frölichs Installation geht es um die Identitätsauslöschung und deren Neukonstruktion am Beispiel einer geheimen, militärischen Testreihe. Unter dem Decknamen MK ULTRA wurde von 1953 bis in die 1970er Jahre hinein ein umfangreiches Forschungsprogramm top secret von der Central Intelligence Agency durchgeführt, das die Möglichkeiten einer gezielten Verhaltenssteuerung und absoluten Bewusstseinskontrolle untersuchte. Dazu wurden ahnungslose Testpersonen – willkürlich ausgewählte US-Bürger, Angehörige der US-Army, Studenten, Krankenhauspatienten und Gefängnisinsassen – verschiedenen Experimenten unterzogen und mittels manipulativer Techniken und halluzinogener Drogen „neu programmiert“.

Der Militärpsychiater und Chemiker Sidney Gottlieb, auch als „Schwarzer Hexer“ oder „Schmutziger Trickser“ bekannt, hatte die Gesamtleitung von MK ULTRA inne und unterstützte Mediziner wie Ewan Cameron bei ihren umstrittenen psychiatrischen Forschungen. Bekanntermaßen rekrutierten die USA bereits kurz nach Kriegsende 1945 etliche deutsche Wissenschaftler und Techniker, um deren Wissen für ihre Zwecke zu nutzen, darunter auch ehemalige SS-Ärzte.
So wird Josef Mengele alias „Dr. Black“ ebenfalls immer wieder mit MK ULTRA in Verbindung gebracht: Seine „Kenntnisse“ aus den barbarischen Menschenversuchen an Zwillingen und Kleinwüchsigen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau seien Grundlage für spezielle Testverfahren gewesen, was jedoch nicht sicher bewiesen ist. Im Netz kursieren zahlreiche Berichte von angeblichen Opfern und Zeitzeugen, die ihn auch als „behandelnden Arzt“ identifiziert haben wollen. Theresa Frölich greift diese Möglichkeit auf und fügt Mengeles Bildnis in die Reihe der Verantwortlichen ein.

„ERASE A DISTURBED MIND AND // START ALL OVER AGAIN.“ – Dieser Satz erstreckt sich wie das Motto der an MK ULTRA beteiligten Forscher über die Wände des Ausstellungsraumes. An einer anderen Wand zeigt das Fadengeflecht die chemische Formel der Hippie-Droge LSD, deren Molekülstruktur sich bis hoch ins Gestänge zieht. Zu Camerons Prozedur gehörte das sogenannte Depattering der Persönlichkeit: Drogen und Elektroschocks führten zum Vergessen und Auslöschen aller früheren Erinnerungen, zur vollkommenen Amnesie. Die „entleerten“ Patienten wurden anschließend mit neuen Gedanken und Informationen aufgefüllt und konnten sich von dieser Tortur in einem wochenlangen Schlaf (Soma-Therapie) „erholen“. Des Weiteren wurden traumatische Erlebnisse durch Isolation, Hypnose (Trance Formation) und auch operative Eingriffe herbeigeführt. Nachweislich trugen zahlreiche Versuchspersonen bei den Experimenten schwerste körperliche und psychische Schäden davon, bis hin zum Tod.

Die meisten offiziellen Akten zu MK ULTRA wurden vorsätzlich vernichtet. Einige der erhaltenen Dokumente, mittlerweile für die Öffentlichkeit zugänglich, sind als Kopien an einer paravantartigen Informationstafel im Raum zusehen. Neon-Fäden fungieren hier als Textmarker und machen wichtige Passagen kenntlich, anhand derer sich wesentliche Strukturen des Projekts rekonstruieren lassen.

Die Wissenschaft der Kybernetik, die seit den 1940er Jahren entwickelt wurde, ging davon aus, dass das menschliche Gehirn als wichtigstes Steuerungszentrum gewisse Analogien zum Computer besitzt und im Sinne der In-& Output-Theorie funktioniert. Ziel der Forschung war eine Verschmelzung digitaler und biologischer Systeme sowie der Mensch nach Maß.
Das Ergründen neuronaler Strukturen wird bis heute fortgesetzt: Mittels der vieldiskutierten Nanotechnologie könnten zukünftig kleinste Computereinheiten im Gehirn des Menschen ungeahnte Möglichkeiten eröffnen, aber auch die Gefahr der Manipulierbarkeit erhöhen. Laut Ray Kurzweil, Wissenschaftsautor und umstrittener Visionär, ist eine Singularität nahe – die uneingeschränkte Verknüpfung von Mensch und Computer. Vielleicht ist dies bald nicht mehr nur Utopievorstellung, sondern Realität?